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Abgucken bei den Stummelfüßern

Wandelbares Natursekret könnte Vorbild für neuartige Kunststoffe werden

Abgucken bei den Stummelfüßern
Stummelfüßer
Schleimige Jagdwaffe: Stummelfüßer fangen ihre Beutetiere mit einem Sekret, in dem sich Polymerfasern bilden, wenn sich die Opfer bewegen. (Foto: Alexander Bär / Nature Communications 2017)
Natur als Lehrmeister: Die bizarren Stummelfüßer haben ein geniales Patent entwickelt, denn sie produzieren Fäden aus einem schleimigem Biopolymer, das bei Krafteinwirkung fest wird. Um dieses Material wiederzuverwenden, genügt der Kontakt mit Wasser – und schon kann man neue Fäden ziehen.

Manche Tiere produzieren erstaunliche Materialien. Spinnenseide etwa übertrifft in Sachen Festigkeit sogar Stahl. Muscheln sondern Byssusfäden ab, mit denen sie sich unter Wasser fest an Steine heften können. Und viele Verbundstoffe der Natur sind denen der menschlichen Chemiker noch immer weit überlegen. Kein Wunder, dass Forscher immer wieder in der Natur nach Vorbildern für neue Materialien suchen.

Wandelbarer Schleim

Jetzt sind sie erneut fündig geworden – bei den Stummelfüßern. Diese wie Würmer mit Beinen aussehenden Tiere verspritzen eine klebrige Flüssigkeit, um Feinde abzuwehren oder Beute zu fangen. Sobald dann Asseln, Grillen oder Spinnen versuchen, sich aus den Schleimfäden herauszuwinden, verfestigen sich die Fäden, so dass es erst recht kein Entkommen mehr gibt. „Die bei der Bewegung auf den Schleim wirkenden Scherkräfte sorgen dafür, dass dieser zu steifen Fäden aushärtet“, erklärt Alexander Bär von der Universität Kassel.

Was aber verleiht dem Stummelfüßer-Schleim diese ungewöhnliche Eigenschaft? Um das herauszufinden, hat sich Bär mit Forschern des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam zusammengetan. Gemeinsam hat das Team die Struktur und Zusammensetzung des Schleims untersucht – und dabei ein weiteres Beispiel für den Erfindungsreichtum der Natur entdeckt.

Von Nanokügelchen zum Polymer

„Wir wussten schon vorher, dass der Schleim vor allem aus großen Proteinmolekülen und Fettsäuren besteht“, sagt Bär. Doch wie sich zeigt, sind diese Komponenten nicht einfach gemischt. Stattdessen erzeugen die Stummelfüßer die Bestandteile ihres Schleims separat und geben sie erst außerhalb der Drüsenzellen zusammen. Dann passiert Erstaunliches: Aus den Proteinen und Fetten bilden sich von selbst winzige Kügelchen. Diese sind alle gleich groß – rund 75 Nanometer – und einheitlich geformt.

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Der Clou daran: Solange diese Kügelchen im Sekret schwimmen, bleibt der Schleim klebrig und zähflüssig. „Aber wenn sich das Beutetier bewegt und dadurch Scherkräfte auf den Schleim wirken, werden die Nanoglobuli zerrissen“, berichtet Bär. Dies löst eine Verwandlung und Polymerisierung des Schleims aus: Aus den Proteinen bilden sich im Inneren des Schleimfadens lange Fasern, die in ihrer Steifigkeit dem Kunststoff Nylon ähneln – der Schleim wird fest. Fett- und Wassermoleküle wandern nach außen und bilden eine Ummantelung.

…und wieder zurück zu Kügelchen

Das Spannende an diesem wandlungsfähigen Schleim ist jedoch die Umkehrbarkeit dieses Prozesses: Selbst nach einigen Stunden im Trockenen lassen sich die ausgehärteten, erstarrten Fäden des Stummelfüßer-Schleims in Wasser wieder lösen. „Erstaunlich für uns war, dass sich Proteine und Lipide dabei offenbar wieder mischen und es zur Bildung der gleichen Nanoglobuli kommt, die wir schon im Ursprungsschleim gefunden haben“, sagt Max-Planck-Forscher Matt Harrington.

Der recycelte Schleim verhält sich anschließend, als wäre er nie erstarrt: Aus ihm lassen sich wieder die gleichen klebrigen Fäden ziehen und diese härten bei Bewegung auch erneut aus. „Das ist ein schönes Beispiel für einen vollständig reversiblen und beliebig wiederholbaren Regenerationsprozess“, erklärt Harrington. Der Stummelfüßer produziert ein Sekret, das sich durch Selbstorganisation in ein Polymer verwandelt – und dann wieder zurück in den Ausgangszustand zurückkehrt.

Vorbild für neuartige Kunststoffe?

Für Materialforscher ist dieses ungewöhnliche Patent der Natur extrem spannend. Denn vor allem für Kunststoffe und andere bisher kaum abbau- oder recycelbare Polymere wäre diese Möglichkeit der Wiederverwendung ein großer Fortschritt. Harrington kann sich gut vorstellen, dass man eines Tages versuchen wird, in ähnlicher Weise Makromoleküle für industrielle Anwendungen auf Basis nachwachsender Rohstoffe zu synthetisieren.

„Im Moment geht es zunächst noch darum, die Mechanismen besser zu verstehen“, betont der Spezialist für Biomaterialien. So interessieren sich die Wissenschaftler etwa dafür, warum mechanische Scherkräfte die Trennung der Proteine von den Fettmolekülen bewirken. Sie wollen zudem herausfinden, welche Faktoren die reversible Bildung der immer gleich großen Nanokügelchen steuern. Auch die Frage, wie sich die Proteineinheiten zu starren Fasern anlagern, ohne miteinander feste chemische Bindungen einzugehen, sei noch offen, so Harrington.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft

© natur.de – Nadja Podbregar
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