Vögel sind in vieler Hinsicht rekordverdächtige Flugkünstler. So fliegen viele Zugvögel halb um die Erde, um zu ihren Winterquartieren zu gelangen. Der Mauersegler kann zehn Monate ohne zu landen in der Luft bleiben und Fregattvögel schlafen sogar im Flug. Eine weitere Herausforderung ist die Flughöhe. Viele Vögel müssen hohe Bergketten überqueren, um in ihre Brutgebiete oder Überwinterungsquartiere zu gelangen. Wie hoch sie dabei fliegen und wie dies trotz dünner Luft und Kälte schaffen, ist bisher nur in Teilen bekannt.
Über den Himalaya
Ein Extrembeispiel für gebirgige Hindernisse ist der Himalaya. Mit Gipfeln im Achttausenderbereich stellt er für die meisten Tierarten eine unüberwindliche Barriere dar – aber nicht für alle. So fanden Biologen im Jahr 2014 heraus, dass die in Asien heimische Streifengans (Anser indicus) bis zu 7.260 Meter hoch aufsteigen kann, um das Hochgebirge entlang von Bergpässen zu überfliegen – ein Rekord.
Jetzt haben Nicole Parr von der University of Exeter und ihr Team einen weiteren Vogel ausgemacht, der den Himalaya überquert: die Rostgans (Tadorna ferruginea). Trotz ihres Namens gehört sie nicht zu den echten Gänsen, sondern ist ein Entenvogel. Ähnlich wie diese sucht sie sich ihr Futter gründelnd in brackigen oder salzigen Gewässern, frisst aber auch Gras wie eine Gans. Den Winter verbringen viele Rostgänse Zentralasiens südlich des Himalaya, wo sie in den fruchtbaren Ebenen im Norden Indiens viele Futter finden.
Höhenflug bis in die Todeszone
Weil ihre Brutgebiete aber auf den Hochplateaus Tibets nördlich des Himalaya liegen, müssen die Rostgänse jedes Jahr das Gebirge überqueren. Um herauszufinden, wie hoch diese Entenvögel dabei fliegen und wie sie diese Passage schaffen, haben Parr und ihre Kollegen 15 Rostgänse mit kleinen Sensor-Rucksäcken ausgestattet.
Die Auswertung der Sensordaten ergab: Die Rostgänse fliegen bei ihrer Himalaya-Überquerung bis zu 6800 Meter hoch. Sie gelangen damit in Höhen, in denen der Sauerstoffgehalt der Luft weniger als halb so hoch ist wie auf Meereshöhe. Auf gut 6000 Metern angelangt, suchen sich die Vögel dann einen Weg durch Hochtäler und zwischen den Berggipfeln hindurch. Sie nehmen dabei oft beträchtliche Umwege in Kauf. “Dies ist der erste Beleg für extreme Höhenflüge eines Entenvogels”, sagt Parr.
Flughöhe der Rostgans m Vergleich (Grafik: University of Exeter)
Schneller Aufstieg
Erstaunlich auch: Die Rostgänse steigen bei ihren Flügen doppelt so schnell und steil in diese extremen Höhen auf wie die Streifengänse. Bis zu gut 70 Zentimeter pro Sekunde stiegen einige der Entenvögel bei ihren Flügen auf, wie die Sensordaten zeigten. “Diese Art muss eine Reihe von Anpassungen entwickelt haben, um so hoch fliegen zu können”, sagt Parr. “Wir wissen allerdings noch nicht, welche.”
Die Biologen vermuten, dass einige der in Indien überwinternden Rostgänse sogar noch höher aufsteigen könnten als die von ihnen am Tibethochplateau untersuchten Exemplare. Denn von dort aus müssen die Vögel noch höheres Terrain überfliegen, um den Himalaya zu überqueren. In jedem Fall gehören die rostrot gefärbten Wasservögel schon jetzt zu den Extremisten unter den tierischen Flugkünstlern.
Quelle: University of Exeter